Jeremy
Claude Monet: L’homme à l’ombrelle (1865/67)
Ich weiss noch immer nicht genau was passierte. Es ging alles so schnell. Es kam so unerwartet…
Meine Frau schlief noch länger als ich. So wie jeden Tag.
Ich öffnete unseren Briefkasten.
Eine Zeitung, ihr Titelblatt zeigt: Serienmörder «Osiris» schlägt wieder zu, Identität noch immer unbekannt.
Ein Brief; kein Absender. Er wolle sich wieder mit mir treffen, ich wusste, wer er war. Die Einladung kam überraschend, ich dachte, ich würde ihn nie wieder sehen. Ich lag wohl falsch.
Eine Woche später spazierte ich am ausgemachten Tag durch das Innere des Städtchens, in dem schon meine Eltern aufgewachsen waren. Es war ein sonniger Tag, keine Wolken, keine Chance auf Regen. Ich dachte nur kurz darüber nach, was ich ihn alles fragen möchte, da hörte ich plötzlich eine ruhige Stimme neben mir.
«Schönes Wetter heute, nicht?» Er sprach in einem schon fast flüsterndem Ton. So wie Immer. Ich lächelte und drehte mich langsam zu ihm um.
«Wunderschön sogar», antwortete ich als sich unsere Augen trafen. Er lächelte nicht. So wie immer.
«Guten Morgen Kleine», ich bückte mich nach Sagira, seiner Hündin und ewigen Begleiterin.
Wir liefen zusammen durch den Park. Er trug seinen Schirm bei sich und antwortete nur knapp auf meine Fragen. So wie immer.
Aber ich kann mich nicht beklagen, ich bin immerhin die einzige Person, mit der er jemals geredet hat. Und ich habe schon überraschend viel über ihn gelernt, und je mehr er erzählte, desto interessanter schien er zu sein.
Er arbeitet nicht mehr, obwohl er noch sehr jung aussieht. Die Frage nach seinem tatsächlichen Alter hat er mir nie beantwortet.
Er hat nie geheiratet, und würde es auch nicht wollen. Die Frage, warum das so ist, hat er mir nie beantwortet.
Er lebt allein, ein wenig ausserhalb der Stadt. Entfernt von dem ganzen Lärm des Alltags. Soll schön sein da draussen, so sagt man.
Die Frage nach seinem Namen hat er mir nie beantwortet.
Seine Antworten wurden immer knapper und ich spürte, dass er von meiner Fragerei alles andere als begeistert war. Dann sagte ich aber etwas; etwas, was das Blut im seinem Körper wieder zum Fliessen brachte.
«Was halten sie eigentlich von der Kunst der Welt?»
Er sah mich an und lachte leise vor sich her. Ich habe ihn noch nie lachen gesehen, niemand hat ihn jemals lachen gesehen. Er führte mich zur nächsten Parkbank und setzte sich hin, ich sass neben ihm. Er begann zu erzählen, mit funkelnden Augen erklärte er, dass er schon seit klein auf fasziniert von der Kunst gewesen sei. Ich war überrascht, sprachlos. Er erzählte und erzählte, ich musste nichts sagen. Er träumte einfach laut vor sich hin. Plötzlich bemerkte er, wie lange er schon gesprochen hatte, und verstummte.
Die Sonne war bereits untergegangen. Er entschuldigte sich und bot mir an, seine Sammlung zu betrachten. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Eigentlich hätte ich schon lange daheim sein müssen, meine Frau wartete sicher schon. Aber als ich länger darüber nachdachte, fiel mir etwas auf: Er wird vermutlich nie wieder so freundlich und einladend gegenüber irgendjemandem sein.
Also war das einzig Logische, diese einmalige Chance zu ergreifen? Auch wenn ich einmal ein paar Stunden zu spät nach Hause kommen würde, das geht schon in Ordnung. Das hier war wichtiger. Das hier war eine einmalige Möglichkeit.
Ich willigte mit Begeisterung ein.
Als wir uns bereits auf den Weg gemacht hatten, fiel mir auf, dass niemand wirklich wusste, wo dieser Mann lebt. Niemand hat jemals das Haus dieses Mannes gesehen. Ich würde der erste sein.
Wir liefen also durch die Stadt, es war dunkel, es war leise, es war angenehm. Wir liessen alles hinter uns und betraten einen kleinen Feldweg. Er erzählte mir von seiner Sammlung, anscheinend hat er berühmte Stücke von überall auf der Welt bei sich ausgestellt.
Ich war aufgeregt.
Der Weg wurde immer schmaler, bis wir nicht mehr nebeneinander laufen konnten. Der Weg wurde schmaler und er wurde immer ruhiger. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich. Soviel konnte ich über seine Schultern erkennen.
Er stoppte. «Ich entschuldige mich für den langen Weg, aber hier sind wir ungestört»
Ich war so tief in meinen Gedanken versunken, dass ich nicht bemerkte, dass wir uns schon in der Einfahrt seiner Behausung befanden. Es war nur schwach beleuchtet, jedoch konnte man das Ausmass der Villa auch so erkennen.
Er gab mir keine Zeit, sie zu bewundern, und öffnete die Tür, "nur herein", sagte er, "sonst erkälten Sie sich noch". Ich trat ein und schaute mich um. Ich stand in einer riesigen, von drei Kronleuchtern erhellten Eingangshalle.
Ich schmunzelte.
«Ist etwas?» Er schaute mir mit einem langsam schwindendem Lächeln in die Augen.
«Nein nichts, ich finde es nur lustig, dass ich jetzt hier in ihrem Zuhause stehe, obwohl ich doch nicht einmal ihren Namen k-» − bevor ich den Satz beenden konnte traf mich etwas am Kopf, ich fiel zu Boden, spürte, wie eine Flüssigkeit meinen Hinterkopf herabfliesst. Ich versuchte aufzustehen, und stütze mich auf meinen Knien, da traf es mich nochmal, diesmal am Rücken. Ich brach zusammen, verlor die Kontrolle über meinen Körper.
Ich überlege mir wie ich hier gelandet bin. ‘Ich hätte nicht kommen sollen’, denke ich mir, ‘du naiver Vollidiot’
Ich denke an meine Frau, meine wunderbare Frau. Sie schläft wahrscheinlich schon.
So wie jeden Tag.
Mit letzter Kraft hebe ich meinen Kopf an und sehe dem Mann in die Augen.
«Osiris», er spricht leise, das Lächeln ist jetzt ganz verschwunden, «Man nennt mich Osiris.»
Meine Sicht verdunkelt sich, ich erkenne Sagira hinter ihm liegen.
Sie ignoriert mich.
Wie Immer.
Alles wird schwarz.
Meine Frau schlief noch länger als ich. So wie jeden Tag.
Ich öffnete unseren Briefkasten.
Eine Zeitung, ihr Titelblatt zeigt: Serienmörder «Osiris» schlägt wieder zu, Identität noch immer unbekannt.
Ein Brief; kein Absender. Er wolle sich wieder mit mir treffen, ich wusste, wer er war. Die Einladung kam überraschend, ich dachte, ich würde ihn nie wieder sehen. Ich lag wohl falsch.
Eine Woche später spazierte ich am ausgemachten Tag durch das Innere des Städtchens, in dem schon meine Eltern aufgewachsen waren. Es war ein sonniger Tag, keine Wolken, keine Chance auf Regen. Ich dachte nur kurz darüber nach, was ich ihn alles fragen möchte, da hörte ich plötzlich eine ruhige Stimme neben mir.
«Schönes Wetter heute, nicht?» Er sprach in einem schon fast flüsterndem Ton. So wie Immer. Ich lächelte und drehte mich langsam zu ihm um.
«Wunderschön sogar», antwortete ich als sich unsere Augen trafen. Er lächelte nicht. So wie immer.
«Guten Morgen Kleine», ich bückte mich nach Sagira, seiner Hündin und ewigen Begleiterin.
Wir liefen zusammen durch den Park. Er trug seinen Schirm bei sich und antwortete nur knapp auf meine Fragen. So wie immer.
Aber ich kann mich nicht beklagen, ich bin immerhin die einzige Person, mit der er jemals geredet hat. Und ich habe schon überraschend viel über ihn gelernt, und je mehr er erzählte, desto interessanter schien er zu sein.
Er arbeitet nicht mehr, obwohl er noch sehr jung aussieht. Die Frage nach seinem tatsächlichen Alter hat er mir nie beantwortet.
Er hat nie geheiratet, und würde es auch nicht wollen. Die Frage, warum das so ist, hat er mir nie beantwortet.
Er lebt allein, ein wenig ausserhalb der Stadt. Entfernt von dem ganzen Lärm des Alltags. Soll schön sein da draussen, so sagt man.
Die Frage nach seinem Namen hat er mir nie beantwortet.
Seine Antworten wurden immer knapper und ich spürte, dass er von meiner Fragerei alles andere als begeistert war. Dann sagte ich aber etwas; etwas, was das Blut im seinem Körper wieder zum Fliessen brachte.
«Was halten sie eigentlich von der Kunst der Welt?»
Er sah mich an und lachte leise vor sich her. Ich habe ihn noch nie lachen gesehen, niemand hat ihn jemals lachen gesehen. Er führte mich zur nächsten Parkbank und setzte sich hin, ich sass neben ihm. Er begann zu erzählen, mit funkelnden Augen erklärte er, dass er schon seit klein auf fasziniert von der Kunst gewesen sei. Ich war überrascht, sprachlos. Er erzählte und erzählte, ich musste nichts sagen. Er träumte einfach laut vor sich hin. Plötzlich bemerkte er, wie lange er schon gesprochen hatte, und verstummte.
Die Sonne war bereits untergegangen. Er entschuldigte sich und bot mir an, seine Sammlung zu betrachten. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Eigentlich hätte ich schon lange daheim sein müssen, meine Frau wartete sicher schon. Aber als ich länger darüber nachdachte, fiel mir etwas auf: Er wird vermutlich nie wieder so freundlich und einladend gegenüber irgendjemandem sein.
Also war das einzig Logische, diese einmalige Chance zu ergreifen? Auch wenn ich einmal ein paar Stunden zu spät nach Hause kommen würde, das geht schon in Ordnung. Das hier war wichtiger. Das hier war eine einmalige Möglichkeit.
Ich willigte mit Begeisterung ein.
Als wir uns bereits auf den Weg gemacht hatten, fiel mir auf, dass niemand wirklich wusste, wo dieser Mann lebt. Niemand hat jemals das Haus dieses Mannes gesehen. Ich würde der erste sein.
Wir liefen also durch die Stadt, es war dunkel, es war leise, es war angenehm. Wir liessen alles hinter uns und betraten einen kleinen Feldweg. Er erzählte mir von seiner Sammlung, anscheinend hat er berühmte Stücke von überall auf der Welt bei sich ausgestellt.
Ich war aufgeregt.
Der Weg wurde immer schmaler, bis wir nicht mehr nebeneinander laufen konnten. Der Weg wurde schmaler und er wurde immer ruhiger. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich. Soviel konnte ich über seine Schultern erkennen.
Er stoppte. «Ich entschuldige mich für den langen Weg, aber hier sind wir ungestört»
Ich war so tief in meinen Gedanken versunken, dass ich nicht bemerkte, dass wir uns schon in der Einfahrt seiner Behausung befanden. Es war nur schwach beleuchtet, jedoch konnte man das Ausmass der Villa auch so erkennen.
Er gab mir keine Zeit, sie zu bewundern, und öffnete die Tür, "nur herein", sagte er, "sonst erkälten Sie sich noch". Ich trat ein und schaute mich um. Ich stand in einer riesigen, von drei Kronleuchtern erhellten Eingangshalle.
Ich schmunzelte.
«Ist etwas?» Er schaute mir mit einem langsam schwindendem Lächeln in die Augen.
«Nein nichts, ich finde es nur lustig, dass ich jetzt hier in ihrem Zuhause stehe, obwohl ich doch nicht einmal ihren Namen k-» − bevor ich den Satz beenden konnte traf mich etwas am Kopf, ich fiel zu Boden, spürte, wie eine Flüssigkeit meinen Hinterkopf herabfliesst. Ich versuchte aufzustehen, und stütze mich auf meinen Knien, da traf es mich nochmal, diesmal am Rücken. Ich brach zusammen, verlor die Kontrolle über meinen Körper.
Ich überlege mir wie ich hier gelandet bin. ‘Ich hätte nicht kommen sollen’, denke ich mir, ‘du naiver Vollidiot’
Ich denke an meine Frau, meine wunderbare Frau. Sie schläft wahrscheinlich schon.
So wie jeden Tag.
Mit letzter Kraft hebe ich meinen Kopf an und sehe dem Mann in die Augen.
«Osiris», er spricht leise, das Lächeln ist jetzt ganz verschwunden, «Man nennt mich Osiris.»
Meine Sicht verdunkelt sich, ich erkenne Sagira hinter ihm liegen.
Sie ignoriert mich.
Wie Immer.
Alles wird schwarz.